Mittwoch, 21. Mai 2014

Ein Rätsel. Und ein Abschied.


Es ist Vollmitglied der EU seit 2004, so groß wie Hessen, hat weniger Einwohner wie der Großraum München, aber eine Meeresküstenlinie von 46,6 km Länge mit vier Hafenstädten?
Na? Litauen? Lettland?? Albanien??? Slowakei???? Slowenien???? Richtig! Vor fünf Jahren kam ich mehr durch Zufall und fast wider Willen hierher. Kaum guter Wein damals. Eher postsozialistische Urlaubsatmosphäre.  Heute gibt es in Izola ein wunderbares Weinlokal und mindestens zwei Restaurants, deren Besitzer selbst Fischer sind und ihren eigenen, selbst gefangenen Fisch (nix Aquakultur!) auf den Tisch bringen. Ich bin sicher, dass die fast 50 km Küste in 10 Jahren ein sehr begehrtes Fleckchen sein werden, es ist - von München und Wien aus gesehen - die kürzeste Distanz zum Mittelmeer.
In Europa ist Slowenien so gut wie unbekannt und wird bestenfalls mit der Slowakei verwechselt. 
Bis 2008 war Slowenien ein Musterknabe in der EU mit besten Wirtschaftszahlen. Mittlerweile aber ist das Land unter den EU Rettungsschirm geschlüpft, die Angst geht um bei meinen Bootsnachbarn, allesamt gesetzte, ältere Slowenen. Als ich 2009 nach Izola kam, war jeden Tag Party auf dem Steg, dem "Pontile C", die Slowenen feierten ab Samstag Vormittag bis Sonntag Abend lautstark. Es ist leise geworden auf unserem Steg, gefeiert wird nur noch selten. Der Fabrikbesitzer aus dem Norden, der vor ein paar Jahren im Vollrausch seinen nagelneuen A5 vor meinen Augen im Hafenbecken versenkte - er schwamm tatsächlich ein paar Minuten an der Wasseroberfläche, dann sank er auf Grund mit eingeschaltetem Fernlicht, das den Grund erleuchtete und nach fünf Minuten erlosch, zwei KOffer schaukelten noch friedlich an der Oberfläche - aber das ist eine andere Geschichte vom Meer! - der Fabrikbesitzer hat sein Boot vom Steg an die viel günstigere Boje im Hafen verlegt, er sagt, er weiß jetzt wieder, was das Brot im Laden kostet. Der Stuhlfabrikant hat Krach mit den Nachbarn, weil er Leute entlassen mußte. Es ist, was überall passiert in Europa: Fabrikproduktion als Arbeitsplatzbeschaffung verschwindet. Es bleiben? Kleinbetriebe, Dienstleistung. Kann das funktionieren? Es sind jedenfalls andere Geschichten als die vor fünf Jahren.
Heute Mittag habe ich Izola nach fast fünf Jahren verlassen und bin zu meiner großen Reise aufgebrochen. Ich gebe zu, ich bin traurig, aber wir haben jedes Boot nach fünf Jahren an einen anderen Platz verlegt. Zuerst waren wir in Livorno, dessen wunderbare jüdische Vergangenheit ich erst in diesem Winter begriffen habe. Dann südlich von Ancona an der Adria. Dann in Preveza in Westgriechenland. Und jetzt Izola. Es ist Zeit, zu gehen.

Was ich mitnehme? Wie folgt:

Die erfolgreichsten slowenischen Exportartikel:
1. Slavko Avsenik und seine Original Oberkrainer
Kennt man den noch? Aber ja, war doch in jedem Musikantenstadel. Und ist gaaaanz typisch für das Hump-Tata, das einem an jeder Ecke Sloweniens um die Ohren fliegt. Musikalisch IST Slowenien ein Musikantenstadel.
2. Giuseppe Tartini. Naja. Im 18. Jahrhundert in Piran geboren, das wie die ganze Küste von den Venezianern weniger "beherrscht" als vielmehr wirtschaftlich sachverständig "verwertet" wurde.
3. Slowenischer Honig. Als Exportartikel noch nicht entdeckt. Aber auch für einen Nichthonigesser wie mich ein Genuß - und was ganz anderes, als das Zeug, das unter großem allbekanntem Goldlogo mit dem kleingedruckten Vermerk "Honig kann auch aus nichteuropäischen Ländern und Südamerika stammen" bei uns auf den Tisch kommt.
4. Fuzi. Eine istrische Pasta-Spielart. Am liebsten mit Frutti di Mare.

Meine fünf Vorurteile über Slowenien:
1. Slowenien ist ein bißchen wie Auenland, Slowenen sind wie Hobbits: Am liebsten sitzen sie zusammen in größerer Gesellschaft, mit Hump-Tata Hump-Tata, sind fröhlich, tanzen auf den Tischen und stoßen mit einem laut ansteigenden Ooooooooooooopa an. Sie feiern gerne. Und wenns in der Ecke irgendeines Hafens an der kroatischen Küste laut und ausgelassen herging: warens meist Slowenen. Es hat sein Gutes, diese auenländische Ausgelassenheit.
2. Slowenen sprechen in der Öffentlichkeit laut. Auch telefoniert werden muß so, dass der Hafen es mitbekommt. Egal was öffentlich gesagt wird: laut muß es sein, klar und deutlich für jeden, der siebzig Meter entfernt steht. Aber auch das hat sein Gutes: Es sagt ganz klar "Stasi oder Securitate hatten wir hier nicht", wir waren immer wir.
3. Tito überall an der Wand. Oft trifft man in Bars oder auch Bäckereien Fotokalender mit offiziellen Fotos von Tito an der Wand. Ich habs nie begriffen. Aber auch die habe ich mittlerweile lieben gelernt als stimmungsvolle Relikte der vermeintlich heilen 70er Jahre. In St. Tropez halt Brigitte Bardot, hier Tito. Nur blöd, dass der in den 70er und 80er Jahren für Morde an Exil-Yugoslawen verantwortlich war, die erst in den letzten Monaten wieder aufgerollt wurden. 
4. Die Geschichte ihres Austiegs aus Ex-Jugoslawien? Beeindruckend. Slowenen waren die ersten, die als Kollektiv beschlossen: wir machen unser eigenes Ding. Und steigen aus dem Bundesstaat aus. Sie haben das innerhalb weniger Wochen sehr entschlossen durchgezogen. Auch gegen militärische Aggression der Bundesarmee. Eine gute Geschichte.
5. Ljubljana. Jung, studentisch, architektonisch ein Mix aus Habsburger-Reich und Plattenbau. Sehr netter Platz. Und Hauptort der Hobbits.



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